Glaubst du selbst an deine Worte?
Inzwischen häuft sich das Feedback zur englischen Übersetzung meines Romans Wie ich vom Weg abkam, um nicht auf der Strecke zu bleiben, liebe Leserinnen und Leser. Heute erreichte mich die Mail einer Leserin aus Australien. Da ich auf alle Zuschriften antworte, zwang mich der zweite Absatz dieser Mail heute morgen heftig zum Nachdenken. Ich wurde ja bereits vieles gefragt, aber das noch nicht. Aufschreiben hilft mir meist meine Gedanken zu sortieren, also tat ich das eben. Das Ergebnis war mir so wichtig, dass ich es hier veröffentliche:
Dear Eduard, I just finished your book! What a delightful read. I am still finding my way at 74 years of age. I highlighted a good 1/4 of your words because they resonated so deeply in my heart.
I am just a bit sceptical that you would actually believe your own parting words that you want to get to know your readers? Be that as it may, you sound like just the sort of chum or pal that anyone would cherish!
Die Dame schrieb also zusammengefasst: Tolles Buch - aber glaubst du eigentlich selbst an das was darin steht? Gute Frage, dachte ich. Hier meine Antwort, der Einfachheit halber auf Deutsch:
Sie haben völlig Recht! Manchmal ist es gar nicht einfach, meine eigenen Worte zu befolgen. Ich bin kein erleuchteter Guru, der immer das richtige tut, und spirituell hoch über seinen Mitmenschen steht. Ich bin ein normaler Typ mit normalen Problemen. Allerdings stehe ich spirituell weit über jener Person, die ich noch vor 4 Jahren war - vor Antritt des Jakobswegs. Ich sehe meine Probleme und Sorgen inzwischen entspannter, und versuche die Erkenntnisse und Lektionen während der Pilgerreise in meinen Alltag zu integrieren, was oft funktioniert, aber manchmal schief geht.
Sie sind 74 Jahre alt und immer noch auf der Suche nach ihrem Weg? Geht mir genauso. Ich denke, das hört auch niemals auf. Die Welt bewegt sich rasanter und wird immer komplexer. Was gestern richtig war, funktioniert heute nicht mehr, was vorgestern existiert hat, gibt es nicht mehr, was uns vor drei Tagen noch wichtig war, kümmert uns nicht mehr, jemanden, den wir vor vier Tagen zu unseren Freunden zählten, gehen wir jetzt aus dem Weg, etc. Deshalb müssen wir uns ständig neu orientieren, ausgetrampelte Wege verlassen, neue Pfade (er)finden, unscheinbare Seitenwege ausprobieren oder in unbekannte Gebiete vorstoßen. An all diesen Abzweigungen des Lebens fühle ich intuitiv besser, in welche Richtung ich mich wenden soll, und was mich dort erwarten könnte. Ich lese Wie ich vom Weg abkam, um nicht auf der Strecke zu bleiben alle drei Monate aufs Neue, um meine eigenen Worte präsent zu haben und danach zu handeln. Vieles, was nach dem Camino in mein Leben trat, wäre ohne dem Weg und meinem Roman, in dem ich meine dortigen Erfahrungen und Erkenntnisse verarbeitete und mein bisheriges Leben resümierte, nicht möglich gewesen - wahre Liebe, tiefes Glück, Freude am Leben, Begeisterung, der Wunsch zu wachsen, die Motivation noch viele weitere inspirierende Bücher zu schreiben - und nicht zuletzt mein eben fertiggestellter Roman, der mit Hilfe fiktiver Charaktere ja nur meine eigene Reise in neue Höhen und bislang unerforschte Tiefen meines Bewusstseins fortsetzt...
Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich glaube an meine eigenen Worte im Buch! Damals wie heute. In Kapitel 21 schrieb ich von einem inneren Dämon, der vor und während des Jakobsweg so präsent und bestimmend war, dass ich ihm sogar einen Namen verpasste: Amancio Vázquez - so wie der Bösewicht meines 3. Krimis hieß. Dieser miese hinterhältige Scheißkerl lebt heute noch und wird auch erst zusammen mit mir sterben. Er hat viele hässliche Fratzen und kommt gelegentlich zum Vorschein. Wenn er in Erscheinung tritt, handle ich nicht gemäß meiner eigenen Predigt. Das ist es, was Sie in Ihrer Mail ansprechen. Allerdings führt Amancio nun ein trauriges Schattendasein tief in meinem Unterbewusstsein. Seine Wachphasen werden immer seltener und kürzer. Und das ist die bedeutendste Veränderung, welche der Inhalt meines eigenen Romans mit mir bewirkte.
Herzlichen Dank für Ihr Feedback, und liebe Grüße aus Spanien nach Australien - und natürlich auch nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz :-)